Aufbau des IJAF-Kursprogramms

Digital Gap in der Strafjustiz
Bislang hat das Thema „Digitalisierung der Informationsverarbeitung im Strafverfahren“ mit all seinen verschiedenen Verzweigungen kaum in die Fortbildungsprogramme von Anwaltsvereinen Einzug gehalten, obwohl der (unbefriedigte) Bedarf an digitaler Kompetenzerweiterung für Strafverteidiger*innen hinsichtlich der für Waffengleichheit und Faires Verfahren so wichtigen digitalen Informationsverarbeitung im Erkenntnisverfahren klar und teilweise schmerzlich erkennbar ist.
Die Plattform „ANALYSE DIGITALER BEWEISE im Strafverfahren“ versteht sich als ein Angebot für Vernetzung und Fortbildung, welches helfen soll, diese Lücke zu schließen. Insbesondere das Konzept eines Kursprogramms wurde mit Blick auf den erkennbaren Fortbildungsbedarf im Bereich Digitalisierung der Strafjustiz entwickelt und richtet sich besonders an Anwaltsvereine in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH).
Notwendige Kompetenzerweiterung im Umgang mit digitalen Beweisen
Strafverteidigung ist zunehmend mit digitalen Beweisen konfrontiert. Nicht nur in Fällen von Cybercrime oder Umfangsverfahren organisierter Kriminalität, sondern auch in weniger komplexen Strafsachen spielen digitale Daten oft in großen Mengen als Beweismittel eine Rolle.
Die weite Verbreitung von Smartphones, die neben der klassischen Telefonie mehr noch der permanenten Aufzeichnung umfänglicher Kommunikation via E-Mails und Chats sowie der Vermessung von Bewegungs- und Aktionsmustern dienen und geradezu ein „ausgelagertes Gedächtnis“ darstellen, führt dazu, dass – so die Schätzung von IT-Experten – etwa in 85% der Strafsachen Handy-Daten, Funkzellenabfragen oder TKÜ-Maßnahmen in den Ermittlungen eine Rolle spielen. Zukünftig wird mit der sich beschleunigenden Digitalisierung aller Lebensbereiche von digitaler Medizin über autonomes Fahren bis zum Internet der Dinge der Bereich potenzieller elektronischer Beweismittel weiter massiv ausgeweitet.
Während Polizei und Staatsanwaltschaft im Bereich digitaler Beweise über Jahre massiv aufgerüstet haben (Cyber-Kriminalisten und Cyber-Staatsanwälte) ist von Cyber-Strafverteidigern kaum etwas zu sehen – Waffengleichheit: Fehlanzeige.
Das IJAF-Kursprogramm „Analyse digitaler Beweise im Strafverfahren“ ist darauf gerichtet, dem dringenden Bedarf von Rechtsanwälten und insbesondere von Strafverteidiger*innen an fachlicher Kompetenzerweiterung im Umgang mit digitalen Beweismitteln und daraus abgeleiteter wirksamer Prozesshandlungen (insbesondere auch zur Beweisantragstellung) zu entsprechen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der IT-forensisch-analytischen Seite, d.h. im Vordergrund steht ein Angebot zur Befähigung zu einer qualifizierten Verarbeitung und Einschätzung digitaler Informationen im Beweisverfahren, besonders mit Blick auf die Beurteilung der Zulässigkeit und des Beweiswertes digitaler Beweise und zur eigenständigen, unabhängigen Auswertung im Interesse der Verteidigung.
Die Ursprünge des hier vorgestellten Konzepts gehen auf Erfahrungen computer-gestützter Beweisauswertung in der internationalen Strafjustiz auf die Zeit seit Anfang der 2000er Jahre – in der auch das International Justice Analysis Forum (IJAF) als ein projektbezogenes Netzwerk von Forensikern und Analysten entstanden ist – zurück.
Langjährige Erfahrungen bestehen im Bereich der Fortbildung zur methoden-kritischen Betrachtung digitalen Beweise in der Strafverfolgung im Rahmen eines internationalen Masterkurses an der Ruhr-Universtät Bochum. Neben Seminaren zur Analyse digitaler Daten (eEvidence) in Großverfahren der internationalen Strafjustiz sowie internen Schulungen von Rechtsanwaltskanzleien wurden Seminare als Präsenz- und Online-Veranstaltungen (einschließlich Software-Training) bei verschiedenen Anwaltsvereinen zu verschiedenen Themen gehalten, so unter anderem zu:
•Digitale Beweismittel: Von Handydaten bis Umgebungsintelligenz - Strafverteidigung im Zeichen von Big Data
•Grundzüge der Digitalisierung von öffentlicher Sicherheit und Strafjustiz und wesentliche Konsequenzen für die Beweiserhebung
•LegalTech & eEvidence im Strafverfahren
•Anwendungsbezogene Einführung in die mögliche Nutzung von Software zur Erhebung und Auswertung elektronischer Daten im Rahmen der Beweiserhebung sowie zu Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit
•Strafverteidigung im Zeichen von Big Data und Auswertung digitaler Beweismittel
•„Cyber-Strafverteidigung und Massendaten im Strafverfahren“ - Herrscht noch Waffengleichheit bei der Verarbeitung digitaler Beweise? (gemeinsam mit Dr. Oliver Harry Gerson).
Ein zusammenfassender Blick auf das Thema wurde auf dem Strafverteidigertag in Münster unter dem Thema „Digitale Beweismittel und neue Wege der Strafverteidigung - Welche Herausforderungen stellt die Ausweitung informationstechnologischer Überwachungs- und Ermittlungsmethoden an die Strafverteidigung?“ vorgestellt.
Auch das Design der Fachausstellung „Digitale Forensik und computer-gestützte Beweismittelauswertung“ für den 44. Strafverteidigertag in Berlin (nunmehr wegen der Sars-CoV2-Pandemie für Oktober 2020 geplant) wurde maßgeblich vor dem Hintergrund der Erfahrungen des IJAF-Kursprogramms entwickelt, wie auch in ähnlicher Intention eine Mitwirkung an Modul 13 „Einsatz von IT-Systemen in der Strafverteidigung, digitale Beweisgewinnung“ des ONLINE FORUMS STRAFVERTEIDIGUNG vom 15.11.-13.12.2020 erfolgen soll.
Die Zukunft beginnt jetzt
Die Entwicklungen im Bereich digitale Beweise und IT-Forensik sind rasant – ein auf die Zukunft gerichtetes systematisches Kursangebot zur eigenständigen Verarbeitung digitaler Beweise durch Rechtsanwälte ist nolens volens gezwungen, sich frühzeitig mit neuen Trends der digitalen Forensik und dem Auftauchen neuer Standards auseinanderzusetzen. Mit der Beteiligung an der Ethik-Kommission des Horizon2020 FORMOBILE-Projekts „From Mobile Phone to Court“, „An end-to-end forensic investigation chain for mobile devices“ verfolgen wir unmittelbar die Herausbildung neuer IT-forensischer Techniken und Methoden wie auch der entsprechenden Anwendungsstandards und der dazugehörigen Trainingsmodule auch für Strafjuristen besonders in der Perspektive rechtsstaatlicher Beweisgewinnung.
Laufendes Kursprogramm/Webinare
Das Kursangebot richtet sich wesentlich an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der DACH-Region, mit dem Schwerpunkt Deutschland. Darüber hinaus werden die Kurse bzw. Seminare (überwiegend als Online-Veranstaltungen) auch in englischer Sprache für Interessierte außerhalb der DACH-Region angeboten.
Module 1
101 - Grundlagen der Digitalisierung der Strafjustiz und Auswertung digitaler Beweismittel im Strafverfahren (5 h)
M2-W1: Mehr als ein Aktenstudium: Digitale Analyse von Beweismitteln verstehen - Datenstruktur und methodisch-analytische Fähigkeiten der Datenerfassung und Datenauswertung (2,5 h)
M2-W2: Big Data in Strafsachen - eEvidence Management und Analyse mit QDA Miner und WordStat (enthält "Computer-gestützte Anklageanalyse...") 5h
M2-W3: Computergestützte Konsistenzanalyse von Zeugen- und Beschuldigten-Aussagen (2,5 h)
M2-W4: TKÜ- und Funkzellen-Daten-Analyse (2,5 h)
M2-W5: Verwendung von IP-Adressen als digitale Beweise – Zentraler Identitätsnachweis?
M2-W6: IT-Tools für die Strafverteidigung
M3-W1: Grundlagen der Anwendung von QDA Miner - Training
M3-W2: WordStat - Analyse digitaler Beweise - Training
M3-W3: Software-Anwendung von ABBYY FineReader und dtSearch
M3-W4: Anwendung von Excel und MicroStrategy
M3-W5: Computer-gestützte Konsistenzanalyse von Beschuldigten- und Zeugenaussagen mit QDA Miner und WordStat
M3-W6: Funkzellen-Daten-Analyse mit QDA Miner, Excel und MicroStrategy
(Die zeitliche Einteilung von 2,5 und 5 h ist auch mit Blick auf die nach FAO abrechenbaren Fortbildungsstunden gewählt worden.)
Zukünftiger Ausbau des IJAF-Kursprogramms
Das Konzept des IJAF-Kursprogramms zielt im weiteren Ausbau zunehmend darauf ab, die fachliche Komplexität der „Analyse digitaler Beweise im Strafverfahren“ praxisnah abzubilden. Dabei werden weitere Themenbereiche in Verbindung mit IT-Strafrecht und IT-Forensik einbezogen werden und durch erfahrene Experten aus unserem Netzwerk präsentiert. Informationen zu neuen Modul-Angeboten werden Ihnen mit Ihrer Zustimmung rechtzeitig zugehen.
Ein Blended-Learning Format wird zukünftig eine berufsbegleitende, praxisnahe und kontinuierlich-langfristige Fortbildung im Bereich des Umgangs mit digitalen Beweisen im Strafverfahren gewährleisten. Neben dem Grundkurs (Aufbaumodul) wird es einen Fortgeschrittenen-Kurs sowie spezielle Themen-Module geben, die in einer Kombination von Präsenzlernen (Face-To-Face) oder/und E-Learning (Webinar) durchgeführt werden und von den Teilnehmer*innen nach eigenem Interesse als Kurs oder in einzelnen Modulen absolviert werden können.
Bescheinigung von Fortbildungsstunden nach § 15 FAO
Alle Präsenz- und web-basierten Fortbildungsangebote erlauben die Anerkennung nach § 15 II FAO. Neben der Kontrolle der Teilnahme an den Live-Seminaren und Live-Software-Trainings sowie online-Übungen (praktische Anwendung von Software-Tools mit virtueller Anwesenheit der Referenten/Trainer und Möglichkeit des Screensharing und unmittelbarer Einzelbetreuung). Die Teilnahme- und Erfolgskontrolle wird neben einer personalisierten Log-In-Kontrolle via ZOHO-ShowTime durch eine schriftliche Befragung gesichert, deren Teilnahme verpflichtend ist.
Fortbildungsprogramm Ihres Anwaltsvereins
Bei Interesse, Themen auch in das Fortbildungsprogramm Ihres Anwaltsvereins aufzunehmen, bitte eine Nachricht senden.
Aus zurückliegenden Seminaren ist ein starkes Interesse an der grundsätzlichen Einführung (Grundkurs) oder speziellen Themen wie Möglichkeiten der Verteidigung bei Funkzellen-Daten-Analyse) bekannt. Interessant ist dabei auch, dass von den Anwaltsvertretungen hierbei deutliche Unterstützung erwartet wird.
Bei Interesse am Netzwerken oder Kursprogramm können weitere Informationen hier angefordert werden.